Wie denkt man sich gute Rätsel für Textadventures aus? Am besten gar nicht. Sie finden sich von selbst ein.
[Dieser Text enthält fast keine Spoiler für Begegnung am Fluss, Der fünfte Raum, Starrider und Die Bewerbung.]
Rätsel sind aus der Mode. Wie eine Umfrage kürzlich ergab, interessiert sich eine Mehrheit deutscher Textadventure-Spieler nur für die Geschichte des Abenteuers, und nicht für die Rätsel. Dennoch glaube ich nicht, dass Rätsel in Texadventures ausgedient haben. Warum? Dies hängt meiner Ansicht nach eng mit der Frage zusammen, was ein Rätsel ausmacht - ein gutes Rätsel zumindest.
Leichte Rätsel Was ist ein überhaupt ein Rätsel? Keine einfache Frage. Andrew Plotkin argumentierte in der Diskussion um Adam Cadres Photopia, das Spiel sei keineswegs »puzzleless«, wie eine Mehrheit behauptete. Die Rätsel seien nur sehr leicht - eine Ansicht, der ich mich unbedingt anschließen kann. Tatsächlich finden sich auch heute immer wieder Stimmen, die etwa das Labyrinth-»Puzzle« in Photopia loben.
Ein Rätsel ist, was der Spieler als solches wahrnimmt. Wenn der Spieler nicht mehr weiter weiß, wenn er wenigstens einen Moment lang keinen Ausweg aus der aktuellen Situation sieht, ist diese für ihn ein Rätsel. Oder auf Englisch: »If the player looks puzzled, it's a puzzle« - wenn der Spieler verwirrt aussieht, ist es ein Rätsel.
Rätsel können also sogar durch Missverständnisse entstehen, vom Autor völlig unbeabsichtigt. Zu dieser Variante gehört auch das so genannte »Guess the Verb«-Rätsel - der Autor hat nur an ein für ihn natürliches Verb gedacht, und der Spieler kommt nicht darauf.
Ungewollte, in der Regel leichte Rätsel werden überwiegend durch den Parser hervorgerufen. Und da der Autor sie nicht vermeiden kann, werden sie in jedem Parser-Abenteuer auch zukünftig möglich - und unvermeidbar - sein.
Ungewöhnliche Rätsel Labyrinthe kommen in Abenteuerspielen kaum noch vor. Und wenn, dann in neuen Varianten. Die Lösung ist nicht mehr, einen Gegenständ in jeden Raum zu legen, sondern der Autor fordert eine andere Lösung. Er versucht, den Spieler zu überraschen: »Behalte den Zuckerrübensirup lieber in der Hand; wer weiß, ob du ihn in diesem Labyrinth wiederfindest.«
Er versucht den Spieler zu überraschen? »If the player looks puzzled, it's a puzzle.«
In meinem Spiel Begegnung am Fluss sucht der Spieler im Wald nach dem Fluss. Er kann durch die dichten Baumkronen die Sonne nicht sehen und deshalb keine Himmelsrichtungen erkennen. Warum habe ich das eingebaut? Um den Spieler zu schikanieren, oder damit er mehr Zeit mit meinem Abenteuer verbringt? Manche Spieler denken das und schicken mir wütende E-Mails. Aber ich wollte sie nur überraschen. Das Spiel kommt ohne Kompass-Richtungen aus - das ist bei einem Textadventure zwar keine Innovation, aber doch etwas überraschend. Und ich wollte den Spieler auf die zentrale Szene des Spiels vorbereiten, den Kampf mit dem Mann am Fluss, denn auch hier muss der Spieler ein wenig nachdenken und ausprobieren, anstatt Standard-Befehle abzuspulen.
Jegliche Überraschung des Spielers aber stellt diesen automatisch vor ein Rätsel. Insofern kommt kein gutes Textadventure ohne Rätsel aus - der verwirrte Blick des Spielers ist ein Zeichen für Qualität.
Ein weiteres Beispiel: In Jens Bojaryns Spiel Der fünfte Raum kann ein Tisch auf äußerst ungewöhnliche Weise aus dem Spiel genommen werden. Dieses meiner Meinung nach beste Rätsel des Spiels ist trotzdem (wie die Suche nach dem Fluss auch) mit Standardbefehlen lösbar, die in jedem Textadventure vorkommen. Man muss sie nur auf ungewöhnliche Weise kombinieren.
Spannende Rätsel Rätsel sind an sich nicht spannend. Im Gegenteil, sie bremsen die Spannung: Der Spieler will wissen, wie es weitergeht, und was hinter der nächsten Tür auf ihn lauert. Er ist gespannt. Für die Tür braucht er aber noch einen passenden Schlüssel.
Diese Situation ist ein typischer Grund für mich, ein Abenteuer abzubrechen - meistens für immer. Ich nehme mir nur dann die nötige Zeit zum Weiterspielen, wenn die Spannung stärker ist als die Abneigung gegen das Rätsel, wenn der Wunsch, das Land hinter der Tür zu sehen, so dringend ist, dass ich mich auf die Suche nach einem Schlüssel mache.
Man sollte als Autor nicht denken, dass man den Ablauf des Abenteuers durch Rätsel, durch diese verschlossene Tür ändern kann - oder soll. Was hinter der Tür lauert, bleibt sich gleich, ob ich erst einen Schlüssel suchen muss oder nicht. Und man sollte ebensowenig spekulieren, dass man so den Spieler in die Gegend lenkt, in der der Schlüssel versteckt ist. Fast alle Spieler sind schlau genug, das zu bemerken, und wenn sie nur des Rätsels wegen die Gegend durchsuchen, werden sie umgehend aufgeben - oder zumindest weniger Spaß am Spiel haben.
Dennoch kann ein Rätsel spannend sein. Wenn ich nämlich ein gewisses Vertrauen in das Spiel entwickelt habe und weiß, dass es sich einerseits nicht um ein unbeabsichtliches Rätsel handelt, aber andererseits um ein überraschendes. Dann werde ich neugierig auf die Lösung.
Ein Beispiel: das Föhn-Rätsel in Jens Bojaryns Der fünfte Raum. Die Lösung war für mich von Anfang an naheliegend. Ich war nur zu faul, sie auszuprobieren; ich dachte, das würde so nie funktionieren. Als ich dann herausfand, dass das Spiel doch vielschichtiger und raffinierter war, als ich ursprünglich angenommen hatte, probierte ich diese Lösung aus - und fand das sehr spannend.
Noch ein Beispiel: In Max Kalus' Starrider wird der Spieler von einem Killerroboter verfolgt. Den Roboter fand ich damals eine neue Idee, die in mir den Wunsch weckte, das Rätsel zu lösen. Ein Jahr später gab es eine ähnliche Szene in Die Bewerbung. Und dort fand ich das Rätsel dann solide implementiert, aber fade: Das Prinzip war alt, und die Lösung zudem viel primitiver als in Starrider.
Tipps für Rätselbastler Aus den genannten Gründen wüde ich empfehlen, nicht bewusst nach Rätseln zu suchen, wenn man sich an ein Spiel macht. Besser ist es, mit der Überlegung zu starten, wie man den Spieler überraschen könnte. Die Schwierigkeit, der Rätselcharakter, ergibt sich dann oft von selbst.
Ein Spiel durch Rätsel zu gliedern ist ein Fehler, den viele Spieler nicht verzeihen. Wer nur wegen eines Rätsels über die Karte flitzen muss, etwa weil ein wichtiger Gegenstand nicht ins Inventar gepasst hat, flucht - oder steigt aus.
Außerdem rate ich, gerade bei vielen Rätseln eine möglichst spannende Geschichte zu entwickeln, damit der Spieler überhaupt Lust bekommt, die Aufgaben des Autors zu lösen. Und zuletzt muss die Implementierung solide sein; wenn kein Vertrauen in den Autor da ist, lasse ich die Rätsel lieber sein und spiele ein anderes Spiel.
01.11.2002, Florian Edlbauer
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