Und wo stehst Du? |
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Alles eine Frage der Perspektive: Wie wird eigentlich eine Geschichte im Computerspiel erzählt? In der traditionellen Epik wird üblicherweise entweder in der ersten oder der dritten Person Singular erzählt:
Der ersten Person Singular wird nachgesagt, sie erleichtere die Identifikation des Lesers mit der Figur. Die dritte Person hingegen sei die Position des Beobachters. Die zweite Person Singular entdeckt man selten in experimentellen Texten, häufiger nur in der Lyrik:
Mittlerweile entdecken die ersten Literaturwissenschaftler die narrative Struktur von Computerspielen (vgl. z.B. den Artikel von Julian Kücklich). Die in der Sekundärliteratur übliche Einteilung von »Shootern« in »Ego-Shooter« und »Third-Person-Shooter« lehnt sich an die traditionelle Epik an. Demnach, so könnte man schließen, ist Tomb Raider in der dritten Person, Quake in der ersten erzählt. Kücklich überprüft diese Theorie, in dem er die Ursprünge des narrativen Computerspiels betrachtet: Textadventures. Textadventures sind beinahe immer in der zweiten Person Singular geschrieben. Das »Du« des Textes ist der Avatar, also die Spielerfigur, der der Spieler per Tastatur Befehle erteilt. Wenn man sich dann vor Augen hält, dass bei Tomb Raider und Quake Grafik den Text ersetzt und die Befehle nicht mehr formuliert, sondern direkt über die Tastatur oder das Gamepad erteilt werden, dann liegt die Vermutung liegt nahe, dass die »Du«-Perspektive die eigentliche Erzählperspektive jedes Computerspiels ist und die These von der dritten bzw. ersten Person im Shooter nicht mehr haltbar ist. Konsequenterweise verwischen moderne Shooter ohnehin die Grenze zwischen »first« und »third person«, indem der Spieler zwischen beiden Ansichten hin- und herschalten kann. Im Gegensatz zur traditionellen Prosa, werden interaktive Geschichten also in der zweiten Person geschrieben. Warum? Sean Barrett gibt in SPAG 27 folgende Antwort:
Ist ein Textadventure in der »Ich«-Perspektive erzählt, dann wird dadurch die Spielerfigur erst spürbar. In der zweiten Person verschmelzen der Spieler und seine Figur scheinbar in einem einzigen »Du«. Die Distanz zum »Ich« ist deshalb größer. Da sich die meisten Spiele die Identifizierung des Spielers mit der Figur zunutze machen wollen, gibt es nur wenige Spiele, die eine andere Erzählperspektive erproben. Einige interessante Beispiele sind:
Ebenfalls von Jon Ingold ist Fail-Safe. In dieser Geschichte wird mit der Kommunikationssituation gespielt: Die Befehle, die der Spieler üblicherweise seiner Spielfigur erteilt, sind nun größtenteils an ein zweites »Du« gerichtet, mit dem die Spielfigur über Funk redet. Meines Wissens gibt es bislang nur zwei deutsche interaktive Geschichten, die von der »Du«-Form abweichen: Mein Leben für Seite 3 vom Autor dieses Artikels und Die Höhlen von Karn von Martin Oehm. Sicherlich wird die besondere Erzählsituation in interaktiven Geschichten bald auch weitere deutsche Experimente provozieren. |
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