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Das Stundenglas

Das Stundenglas ist das erste einer Reihe von Textadventures der Weltenschmiede. Es erschien 1990 für Amiga und MS-DOS. Obwohl es schon älter ist, gilt es wegen seiner Größe und seines damaligen Erfolgs heute immer noch als Referenz für deutschsprachige Textadventures.

Die Welt ist nach einer globalen Klimakatastrophe im Chaos versunken. Grund für die Katastrophe ist die Hektik der heutigen Zeit, die durch zu feinen Sand im Stundenglas der Zeit hervorgerufen wird. Nachdem er den Gefahren der irdischen Endzeit entkommen kann, gelangt der Spieler in eine geheimnisvolle Welt und bekommt die Möglichkeit, das verschollene Stundenglas zu finden und den gemächlicheren Lauf früherer Zeiten wiederherzustellen.

Dazu muss der Spieler diese Welt, das Munterwassertal, wieder zusammenfügen, denn als das Stundenglas verschwand, wurde das Tal in zwei Parallelwelten aufgeteilt, zwischen denen man nur auf magische Weise reisen kann. Der Schlüssel dazu sind die Münzen, von denen jeder der zwölf menschlichen Bewohner des Tals - sechs in jedem Teil - eine besitzt.

Die Suche nach den Münzen ist die Hauptaufgabe im Mittelteil des Spiels. Und die gestaltet sich langwierig: Um an eine Münze zu gelangen muss man ihrem Besitzer einen Gefallen tun. Diese Aufgaben laufen stets nach dem selben Schema ab. Man muss etwas besorgen, jemand anderes weiß etwas darüber. Also muss man stets zu anderen Personen laufen. Diese verweisen wieder auf andere oder verlangen ihrerseits eine Gefälligkeit für ihre Mithilfe. Man fragt sich, wie das Zusammenleben im Tal war, bevor der Spieler aufgetaucht ist. Als Puzzles getarnte Behördengänge, ein Tag im Einwohnermeldeamt könnte kaum ermüdender sein.

Da helfen auch die exotischen nichtmenschlichen Charaktere nicht, die es zuhauf gibt. Denn obwohl sie recht verschieden sein müssten - es gibt u.a. ein Einhorn, einen Gnom, einen Greif und eine Seeschlange - sind sie genauso stereotyp wie die Menschen im Tal. Lediglich das Finale weicht von Schema ab und läßt ein wenig geheimnisvolle Stimmung um die magischen Münzen aufkommen.

Der Parser wurde damals als sehr fortschrittlich beschrieben [1] [2], da er z.B. Sätze wie »Bitte das Einhorn bei der Bäuerin zu pflügen« verstand. Bei genauerer Betrachtung ist der Parser jedoch weitaus simpler. Alle Artikel und Präpositionen sind Stoppwörter, d.h. sie werden herausgefiltert, so dass der obige Satz auf »Bitte Einhorn Bäuerin pflügen« reduziert wird. Das ist eine praktische Vorgehensweise, da Sätze meist nur mit bestimmten Präpositionen Sinn machen.

Unangenehm ist aber, dass die Pronomen ebenfalls Stoppwörter sind. »Nimm es« bemängelt ein fehlendes Objekt anstatt das zuletzt eingegebene zu verwenden. Außerdem geizt das Stundenglas mit Synonymen für die Objekte. Ein Büchlein, das im Prolog auftaucht, kann nicht »Buch« genannt werden, eine Truhe im selben Raum nicht »Kiste«.

Der Erzählstil ist oft sehr geschwätzig: Fast jedes Substantiv hat ein Adjektiv, es werden zu viele Vergleiche benutzt. In seinem Bemühen, die Situation zu beschreiben, schießt der Autor manchmal über das Ziel hinaus: »Es [das Wasser im See] schmeckt erfreulich frisch, weder nach Schwefel noch nach sonst einer unguten, künstlichen Substanz.«, »Die Zahnräder haben oft einen Durchmesser von einem Meter.«, »Der Torbogen ist etwa eineinhalb Meter hoch, er mutet an wie ein Zeugnis vorgeschichtlicher Baukunst.« (Schmeckt Wasser oft nach Schwefel? Ist Schwefel eine künstliche Substanz? Ist die Größe der Zahnräder zeitlich veränderlich? Und wer hat in der Vorgeschichte die Mammutbauwerke errichtet?)

Störend fand ich auch die fehlende Gliederung des Ausgabetextes in klare Absätze - der Text erscheint wie ein einziger Block - und dass spontane oder immer wiederkehrende Handlungen der anderen Charaktere oft vor der Aktion des Spielers geschildert wurden. Dies widerspricht meinem Rundenverständnis in Adventures.

Die Standgrafiken, die zu manchen Räumen eingeblendet werden, entsprechen mit ihren 16 Farben natürlich dem damaligen Stand. Sie sind ein hübsches, stimmungvolles Beiwerk, können allerdings nicht über die Mängel in den Beschreibungen hinwegtäuschen.

Dem Spiel liegt ein Kurzroman bei, ohne den man einige Rätsel nicht lösen kann. Diesen Roman fand ich ziemlich zäh, und habe ihn nur auf wichtige Hinweise zur Lösung hin untersucht, aber nie ganz gelesen.

Gut, Das Stundenglas hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Aber auch im Vergleich zu englischen Spielen aus derselben Zeit kann es nicht mithalten. Vor allem die Story und der aufgeblähte Erzählstil sind schwerfällig und ließen bei mir keine richtige Lust am Spielen aufkommen. Was alle schon vermutet hatten, bestätigt sich mit diesem Spiel: Dem deutschen Textadventure ging es noch nie so richtig gut.

Das Stundenglas ist auf der Seite des Autors in der Rubrik Goodies erhältlich.

Referenzen:
[1] Amiga DOS 4/1991
[2] AMIGA-Magazin 2/1991

15.07.2001, Martin Oehm

 
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