Multiple-Choice-Adventures

Abenteuer, bei denen man keine Befehle eingeben muss, sondern nur Zahlen aus einer Liste, haben keinen guten Ruf. Das liegt auch daran, dass sie oft von schlechten Programmierern geschrieben werden. Erst der Blick aufs Detail zeigt, wie gut Multiple-Choice sein kann.

Wie die Site www.text-adventures.de belegt, sind Abenteuer im Multiple-Choice-Verfahren besonders bei Autoren beliebt, die in QBasic, mit möglichst wenig Lernaufwand programmieren möchten. Spielt man einige der dort archivierten Spiele, wird schnell klar, dass Multiple-Choice-Abenteuer nicht nur leicht zu programmieren, sondern auch schwer zu schreiben sind.

Ich würde sogar behaupten, ein Multiple-Choice-Abenteuer sollte besser geschrieben sein als ein normales Textadventure. Der Grund: Je mehr Interaktion, desto leichter kann man als Spieler über stilistische Schwächen des Autors hinweg sehen - weil man sich selbst besser einbringen kann. Je weniger Interaktivität, desto höher der Anspruch. Hier muss man nur an nicht interaktive Texte, etwa Romane, denken.

Was sind überhaupt Multiple-Choice-Adventures, und wie funktionieren sie? Ursprünglich handelte es sich um Bücher, in denen man Wahlmöglichkeiten für den Fortgang der Geschichte bekam. Wollte der Spieler davonschleichen, las er auf Seite 83 weiter, rief er aber lieber um Hilfe, setzte er seine Lektüre auf 119 fort. Eine Serie dieser Bücher hieß englisch »Choose Your Own Adventure«, sodass heute noch von CYOA-style adventures gesprochen wird. Das Verfahren verfeinerte sich, die Absätze wurden durchnummeriert, und die Geschichte um Regeln und Würfeln aus Rollenspielsystemen erweitert. (Damit erhöhte sich aber auch der Anreiz zu schummeln beträchtlich - wer wollte schon bei Absatz 457 von 500 aufhören und von vorn beginnen, nur wegen eines Würfelwurfs.)

Ebenso funktionieren Multiple-Choice-Adventures am Computer. Der Spieler bekommt eine Reihe von Möglichkeiten angeboten, aus denen er eine auswählt, anstatt wie sonst einen Befehl zu erproben. Der Vorteil ist offensichtlich - Probleme, ein Verb zu erraten, gibt es hier nicht. Andererseits ist das Rätsel-Niveau von CYOA meist niedrig. Der Spieler probiert im Zweifelsfall alle Möglichkeiten aus, bis das Problem gelöst wird. Denken muss er dabei eigentlich nicht.

Über dieses Problem kann man als Autor eines solchen Spiels aber hinwegtäuschen, indem man einen stark verästelten Plot implementiert. Der Spieler kann sich nach einem Durchgang nicht sicher sein, wo es andere Möglichkeiten gegeben hätte. Der Wiederspielwert ist sehr hoch; die Konzentration, mit der der Spieler die Geschichte verfolgt, steigt. Wenn viele Entscheidungen getroffen werden müssen, bekommt der Spieler fast wie in echten Textadventures das Gefühl, seine Entscheidungen beeinflussten das Spiel - und nicht umgekehrt.

Die Illusion des Spielers, er könne quasi »alles« tun, ist in Multiple-Choice-Spielen natürlich unmöglich - die Optionen sind ja klar abgezählt. Dafür hat CYOA auch einen Vorteil: Abstrakte Spiele lassen sich viel leichter implementieren. FRAGE DEN MÖNCH NACH DEM SINN DES LEBENS gibt wohl so schnell kein Textadventure-Spieler ein, und der Autor sollte nicht damit rechnen. Tut er es doch, muss er sich auf eine gigantische Zahl von Spieler-Fragen einstellen. Einen Mönch, der etwas zum Sinn des Lebens zu sagen hat, möchte man ja doch auch über Dante, uber den Papstpalast in Avignon, über das Schisma und über das Zölibat befragen. Und welches Abenteuer kann das alles abfangen? Während Multiple-Choice ein paar dieser Wahlmöglichkeiten abfangen kann. Der Spieler weiß, was das Programm versteht. Er geht kein Risiko ein.

Zwei besonders bemerkenswerte Techniken von Multiple-Choice-Abenteuern sind tote Enden und Schleifen. Tote Enden treten bei den Abenteuern, die man auf www.text-adventures.de findet, besonders häufig auf. Eine »falsche« Eingabe (die der Spieler oft nicht als falsch erkennen kann) führt zum sofortigen Spielende. Besonders frustrierend ist das, weil die wenigsten CYOAs eine Speichern-Funktion anbieten.

Schleifen hingegen bieten sich geradezu an. Der Spieler durchwandert immer wieder einen bestimmten Ablauf - einen Tag, wie im Film Groundhog Day (dt. Und täglich grüßt das Murmeltier), ein Jahr, eine Stunde. Der Ausgang aus dem Kreislauf ist schwer zu finden - aber der Spieler besitzt ja beliebig viele Versuche, das Problem zu lösen.

So könnte der Spieler ein Gladiator sein, der jede Woche wieder in der Arena antritt. Die einzige Fluchtmöglichkeit hat der Autor gut versteckt; es wird also etliche Kämpfe und damit Wochen dauern, bis der Spieler auf die erfolgreiche Kombination stößt.

Multiple-Choice ist linear und weniger fordernd als ein vollwertiges Textadventure. Doch besonders auf Handhelds oder für Abende, an denen Tippen und Denken dem Spieler zu anstrengend erscheinen, haben Multiple-Choice-Abenteuer ihren Stellenwert - wenn sie gut geschrieben sind. Mark Silcox hat deshalb dieses Jahr erstmals einen Wettbewerb für CYOAs namens LoTech Comp abgehalten. Die Beiträge sind alle spielens- und lesenswert.

Damit niemand mit QBasic herumpfuschen muss, der ein Multiple-Choice-Abenteuer schreiben will, gibt es eine TADS-Library von Mark Musante sowie ein Standalone-Sytem mit grafischem Windows-Interface von Jon Ingold. Als dritte Möglichkeit erscheint an einem der kommenden Sonntag bei textfire.de eine kleine Library für Inform mit ausführlicher Dokumentation.