Mein Comp-Tagebuch 2003

Dieses Jahr habe ich die sechs Beiträge in alphabetischer Reihenfolge durchgespielt, da kein Titel mich besonders gereizt oder abgeschreckt hat. Hier sind meine Eindrücke und die Noten, die ich vergeben habe.

[Dieses Comp-Tagebuch enthält einige Spoiler. Wer die Comp-Beiträge noch nicht gespielt hat, sollte dies besser tun, ehe er diesen Artikel liest.]


Erwarte kein Spiel!

Der Titel und die Infotexte im Spiel lassen keinen Zweifel: Der Autor möchte seinen Beitrag als Experiment verstanden sehen. Fünf komplett verschiedene Szenen von unterschiedlicher Länge muss der Spieler lösen. Jede dieser Szenen ist ein Experiment für sich und hat nichts mit den anderen Szenen zu tun.

Der Beitrag ist solide implementiert, die Fähigkeiten von T.A.G. werden hier sehr gut ausgenutzt. Dennoch überzeugt das Experiment nicht. In einer Szene wechselt der Spieler nach jedem Zug zwischen Häftling und Wärter hin und her, was eine interessante Idee ist. Aber wieso wechselt die Spielfigur in jeder Runde? Und wieso muss man diese Szene mindestens dreimal durchspielen? Hat der Autor Angst, dass seine Spieler bereits nach dem ersten Mal genug haben und so von ihm vorgesehene Möglichkeiten verpassen? (Ich dachte zunächst, dass ich erst nach drei Durchgängen das »richtige« Ende gefunden hatte.) Dann wieder gibt es Szenen, in denen die Eingabe des Spielers komplett ignoriert wird, und in denen man als Zuschauer nur raten kann, wo der Sinn liegt.

Die teilweise guten Ansätze wären in einem Spiel- oder Story-Kontext besser aufgehoben, als Aneinanderreihung zusammenhangloser Experimente ist dieses Spiel gekünstelt und belanglos.

Note: ausreichend


Linear

Oh, schon wieder ein Experiment. Diesmal hat es der Spieler mit einem vorlauten und dominanten Erzähler zu tun, der ihn daran hindert, eine Straßenbahn zu verlassen, die in 38 Zügen den Hauptbahnhof und damit das (negative) Ende des Spiels erreicht.

Die Interaktion mit den anderen Fahrgästen führt außer zu Beschimpfungen seitens des Erzählers meist zu nichts, zunächst wusste ich nicht, was zu tun ist. Erst nach zwei Durchgängen und einem Blick in die Musterlösung war mir klar, dass der Spieler den Erzähler beschäftigen muss, so dass er mich nicht am Aussteigen hindern kann. Dazu muss er möglichst viel Unruhe stiften. Schön. Aber wieso muss ich das Fenster öffnen, um die Prospekte durcheinanderzuwirbeln, und kann die Prospekte nicht einfach so verstreuen? Und wieso reagiert der Hund nur auf den Nothammer? Die verschiedenen Handlungsstränge laufen zudem nahezu unabhängig voneinander ab und sind nicht aufeinander abgestimmt. Ein Spiel, das dazu einlädt, es immer wieder zu spielen und neue Dinge auszuprobieren, ist Linear für mich nicht.

Außerdem wirkt Linear oft sehr unordentlich durch schlechte Gliederung in Absätze und durch allgemeine Stilfehler (»Du siehst hier eine orangefarbene Stange, einen Vater und einen Sohn«).

Note: ausreichend


Der Nebelmond

Nach zwei experientellen Spielen ist "Der Nebelmond" angenehm klassisch. Eine Anfangsszene, die an Infocoms Starcross erinnert, ist der Einstieg in ein Weltraumabenteuer, das solide geschrieben und implementiert ist. Der erste Teil im Raumschiff spielt sich recht flüssig, auf dem Nebelmond gibt es dann ein paar Ungereimtheiten: Wieso gebe ich mich mit dem einen Kristall im Vogelnest zufrieden, wenn der havarierte Frachter doch Tausende davon an Bord hat? Und wieso taucht der Soldat mit dem Säbel immer wieder an derselben Stelle auf, wenn ich ihn einmal weggelockt habe? Insgesamt sind die Rätsel aber fair, nicht zuletzt, weil immer nur ein paar Objekte zur Verfügung stehen.

Der Nebelmond wurde mit Floyd geschrieben, einem System, das vom Autoren selbst entwickelt wurde. Nach einem schwachen Demospiel, das letztes Jahr veröffentlicht wurde, hat Floyd nun ein besseres Aushängeschild.

Note: befriedigend


School's Out For Rosh Hodes Adar II

Der Anfang lässt einiges befürchten: Der Spieler, ein jüdischer Schüler, wurde von seinen Klassenkameraden, von denen der eine Adolf heißt, verprügelt, das alles präsentiert in Schwarz-Weiß-Rot. Doch die Befürchtung, der Autor wolle hier den Geschichtsunterricht in ein plumpes Textadventure packen, bestätigt sich nicht. Stattdessen entpuppt sich School's Out als langweiliges, unmotiviertes Spiel, bei dem der Spieler durch die fast leere Schule läuft, um abstruse Rätsel zu lösen. Ein mit Fackeln beleuchteter Raum im Keller hat gewiss etwas mit der Lösung des Spiels zu tun, aber was? Die Zusammenhänge sind derart unklar, dass ich ohne Blick in die beigelegte Lösung nie zum grausamen Ende gekommen wäre, das zwar im Nachhinein einiges erklärt, aber mit dem Spielverlauf nichts zu tun hat.

Das Spiel strotzt vor Rechtschreibfehlern, die Objekte können nur wie vom Autor vorgesehen benutzt werden, und die Sprüche auf Tafeln und auf der Toilette waren schon in der eigenen Schulzeit nicht originell.

Note: mangelhaft


Wie gerufen

Das Spiel hat einen schnellen, knappen Einstieg: Der Schreiber eines Liebesbriefs muss gefunden werden, Anhaltspunkt ist ein Ausleihschein der Universitätsbibliothek. Straff geht es auch weiter durch einen sehr beschränkten Teil des Campus, so dass die Suche nach dem Briefschreiber und auch das Spiel schnell zu einem abrupten Ende kommt.

Beim zweiten Durchgang - der erste war so kurz, ich musste etwas übersehen haben - habe ich die Zeitung gefunden, die einige Bemerkungen der anderen Personen im Spiel in einem anderen Licht erscheinen lässt, aber mit dem eigentlichen Spiel nichts zu tun hat.

Wie gerufen ist gut geschrieben, allerdings sehr linear. Die kurze Dauer des Spiels hinterlässt den Eindruck, es handle sich hier nur um eine Demo, um etwas Unfertiges. Schade, ich hätte mich trotz der gelegentlichen Parserfehler gerne noch länger an der Uni aufgehalten.

Note: befriedigend


Zwischen Himmel und Erde

Das Ungewöhnliche an diesem Spiel ist gewiss das gewählte System: Simplex, ein Parser in JavaScript. Der Parser funktioniert wie gewohnt, hat allerdings nicht so viele Standardbefehle wie die gängigen Systeme, die dafür eine umfangreiche Bibliothek benutzen.

Die Geschichte ist ein Märchen, oder besser: wie ein Märchen. Auf der Suche nach dem goldenen Reif der Prinzessin trifft der Prinz sprechende Tiere, Riesen und Zwerge. Die Geschichte läuft recht linear, zu jeder Zeit weiß der Spieler, was zu tun ist. Ist es getan, eröffnet sich ihm eine neue Aufgabe, bis das überraschende (oder enttäuschende?) Ende erreicht ist.

Zwischen Himmel und Erde ist schnell durchgespielt, aber nie langweilig. Die Sprache verleiht dem Spiel einen eigenen Charme. Gut gefallen hat mir der Brief des Zwergs, der die Möglichkeiten von HTML richtig ausnutzt.

Note: gut